Das rasante Glück

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Mel.C
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Der Adrenalinspiegel steigt schlagartig, Puls und Blutdruck schnellen nach oben. Eine Fahrt mit der Achterbahn löst einen Rausch aus.

Von FOCUS-Online-Redakteurin Christina Steinlein

Der Anfang ist das Schlimmste.“ Cora steht im rosa Dirndl unterhalb des Olympialoopings auf dem Oktoberfest und schaut zu den Schienen hinauf. „Der Zug wird langsam nach oben gezogen, dazu dieses Geräusch: klack klack klack. Am liebsten würde man es sich anders überlegen und wieder aussteigen, aber das geht nicht mehr. Man sitzt in der Falle.“ Die Fahrt mit dem Oktoberfest-Klassiker, bei der man fünfmal kopfüber durch die bis zu 20 Meter durchmessenden Ringe rauscht, findet die 25-jährige Studentin „ganz lustig“, aber nicht mehr so schlimm wie die ausweglose Situation zu Anfang.

Das deckt sich mit den Ergebnissen, die eine Studie des Kardiologen Jürgen Kuschyk vom Uniklinikum Mannheim ergeben hat. Kuschyk schickte 50 Leute verkabelt auf wilde Fahrt mit der „Expedition GeForce“ im Holiday Park in Hassloch, die als eine der wildesten Achterbahnen der Welt gilt: „Wir haben Puls und Blutdruck gemessen und Langzeit-EKGs gemacht. Das Ergebnis hat uns überrascht: Der Puls steigt zu Anfang am meisten, auf über 200. Das ist vergleichbar mit einem Sprint – nur dass zu Beginn der Fahrt keine körperliche Belastung auftritt. Das bedeutet, ein überwiegender Teil der Aufregung ist psychisch verursacht.“

Die GeForce – eine der wildesten Achterbahnen der Welt

Die Expedition GeForce gilt als eine der wildesten Achterbahnen der Welt. Die Fahrgäste sind kurzfristig einer Belastung von sechs G ausgesetzt. Als G-Kraft bezeichnet man die Belastung eines Menschen durch Beschleunigung oder Bremsung. Ein G entspricht der normalen Erdbeschleunigung. Sechs G bedeutet, dass die Menschen, die im Zug sitzen, kurzfristig das Sechsfache ihres Körpergewichts aushalten müssen. Dagegen mutet der Olympialooping auf dem Oktoberfest viel zahmer an: Die maximalen G-Werte betragen 5,2. Das heißt, die Studentin Cora, die 60 Kilo wiegt, muss bei der Fahrt kurzzeitig 312 Kilo aushalten.

Der Kick beim Achterbahnfahren entsteht durch die Geschwindigkeitsänderungen und die Fahrfiguren, die möglichst unberechenbar sein sollten. Angst und Glück liegen hier nah beieinander. Wer häufig Rollercoaster fährt, ist auf der Jagd nach möglichst viel „Airtime“, dem Gefühl der Schwerelosigkeit. „Es tritt auf, wenn man mit hoher Geschwindigkeit über einen Hügel fährt“, erklärt Torsten Schmidt, der beim Fahrgeschäfte-Konstrukteur Maurer Söhne arbeitet. „Dabei spielt eine große Rolle, an welcher Stelle man in einem Zug sitzt. Die Beschleunigungen sind nicht auf jedem Sitz gleich. Die meisten Fahrgäste versuchen, in die vorderste Reihe zu kommen, aber in der letzten Reihe entstehen die höchsten abhebenden Kräfte.“

Die raschen Beschleunigungen und deren Wechsel bringen unseren Gleichgewichtssinn durcheinander. „Dadurch wird unser körpereigenes Alarmsystem aktiviert und ein Hormon namens Endorphin ausgeschüttet. Dieses regt den Blutkreislauf und die Herzfunktion stark an und ruft gleichzeitig Glücksgefühle hervor“, berichtet Schmidt.

Grenzen austesten

Das Gefühl, die eigenen physischen und psychischen Grenzen auszutesten und die Angst zu überwinden lockt viele in eine Achterbahn. Cora, der kein Fahrgeschäft auf der Wiesn wild genug ist, hat eigentlich Höhenangst. „Das gibt mir einen zusätzlichen Kick, die zu überwinden“, sagt sie. „Das ist berauschend.“

Der Kardiologe Kuschyk und sein Chef Martin Borggrefe, Professor am Uniklinikum Mannheim, wollten genau diesen Glücksgefühlen auf die Schliche kommen. Daher haben sie inzwischen noch eine zweite Studie gemacht. Die Probanden wurden wieder auf die „Expedition GeForce“ geschickt. Diesmal hat Kuschyk ihnen unmittelbar vor und nach der Fahrt Blut abgenommen, um die Hormonkonzentration zu untersuchen. „Auch wenn wir noch keine statistische Auswertung haben: Erste Stichprobenuntersuchungen ergaben einen explosionsartigen Anstieg sowohl an Stress- als auch an Glückshormonen“, erklärt der Mediziner.

Redout, Greyout und Blackout

Stress bedeutet eine Achterbahnfahrt für den Körper allemal – denn für die Belastungen, denen er dabei ausgesetzt ist, ist er nicht gemacht. Welche Schwere ein Mensch maximal tragen kann, ist je nach Belastungsart verschieden, erklärt Fliegerarzt Rudolf Fischl. Er wurde am Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck ausgebildet und ist auf Flugphysiologie spezialisiert. „Bei einem Innenloop, wenn also der Kopf zur Loopingmitte hinzeigt, spricht man von einer positiven Belastung.“ Drei bis vier G sind kein Problem. „Auch höhere Belastungen sind möglich, solange sie nur für eine Sekunde auftreten“, sagt Fischl. „Das Blut wird bei hohen G-Kräften umverteilt und vom Kopf in die Beine gedrückt. Wenn die Belastung länger anhält, wird das Hirn nicht mehr versorgt.“ Erst bekommt man einen Tunnelblick, dann verliert man das Farbensehen. „Das Rot-Sehen verschwindet zuerst, dann sieht man nur noch Schwarz-Weiß, das ist das sogenannte Greyout. Darauf folgt das Blackout, so etwa bei 5,5 bis 6 G. Das kommt bei Jetpiloten immer wieder vor. Die sind noch ansprechbar, aber die Fähigkeit zu sehen kommt erst nach wenigen Sekunden wieder“, erklärt Fischl.

Negative Belastungen, bei denen der Kopf im Looping nach außen zeigt, sind gefährlicher, da das Blut in den Kopf gepresst wird. „Die Gefäße im Kopf sind schwach, vor allem die Augen werden gewaltigem Druck ausgesetzt. Hier sind zwei G für zwei bis drei Sekunden schon zu viel“, erklärt der Fliegerarzt. „Relativ schnell kommt es zum Redout. Die Augenlider schwellen an, weil sich in ihnen das Blut staut. Dadurch sieht man wie durch einen roten Vorhang.“ Das darf bei einer Achterbahnfahrt eigentlich nicht passieren, sagt Torsten Schmidt vom Fahrgeschäftebauer Maurer Söhne: „Die Kräfte bei einer Achterbahn sind so ausgelegt, das Sie für einen gesunden Menschen unbedenklich sind.“